Alle fahren einwintern — einer fährt los.

23.11.2025 | Reiseberichte 2025

Alle fahren einwintern — einer fährt los

Wenn in den sozialen Medien die ersten Binnenkapitäne anfangen, tränenreiche Posts über das Einwintern ihrer Boote zu verfassen, weiss man: Der Herbst hat endgültig gewonnen. „Letzte Fahrt dieses Jahr“ – wie traurig ist das denn? Währenddessen sitze ich im Auto, verlasse Luzern und steuere unbeirrt Richtung Strasbourg. Einer muss ja die Fahne der Ganzjahresfahrer hochhalten.

Gegen Mittag rolle ich in den Hafen ein. Sommer ist hier schon lange abgereist. Keine Touristen, keine charternden Wochenend-Abenteurer – nur die kleine Gemeinschaft der Winterharten, die sich mit einem stummen Kopfnicken begrüssen, weil Worte Energie verschwenden.

Zum Glück habe ich bereits in Luzern die Heizung per Fernsteuerung angeworfen – moderne Technik sei Dank. Beim Betreten empfängt mich mein Schiff mit wohliger Wärme.

Also Leinen los. Die einzigen, die mich wahrnehmen, sind ein paar Fischer, die den Kopf heben und sich fragen, welcher Wahnsinnige es wagt, im Winter ihre heilige Ruhe zu stören. Ich lächle freundlich. Das trägt zur Verwirrung bei.

Die Schleusen am Canal de la Marne au Rhin laufen. Die grünen Lichter glänzen wie Weihnachtsdekoration für Skipper – sie signalisieren mir, dass sie heute nur auf mich warten. Ich gönne mir fünf Schleusen und sogar eine Drehbrücke.

Dann wird es 17 Uhr. Und plötzlich Nacht. Beim Bau des Schiffes hatte ich die glorreiche Idee, zwei Scheinwerfer zu montieren. Einschalten – und das schwarze Loch namens Schleuse verwandelt sich in ein erleuchtetes Bauwerk. Doch so richtig gemütlich ist Nachtfahrt trotzdem nicht. Also festmachen, Feierabend.

In der Küche wartet die nächste Herausforderung: Kochen. Die beste aller Ehefrauen hat mir einen präzisen Kochfahrplan geschrieben – militärische Effizienz, liebevoll verfasst. Und tatsächlich: Ich habe Fleisch gebraten und Reis gekocht. Wer denkt, das sei trivial, irrt gewaltig. Eine Motorenrevision wäre entspannter gewesen. Aber: Es war essbar. Mission erfüllt.

Jetzt liege ich irgendwo im Nirgendwo, bei -5 °C Aussentemperatur. Über mir ein klarer Winterhimmel, unter mir 8 Millimeter Stahl und im Inneren das beruhigende brummen der Heizung.

Solange der Diesel reicht, ist die Welt perfekt.

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